Behinderung bedeutet nicht unbedingt Leid
Meinung zum Leserbrief "Individuum schon bei der Zeugung?" (in:
KB 7/8/2001)
KOLPING WIEN ZENTRAL
INTERNET - Leserforum 11 - Kolpingblatt 09/2001
Die Diskussion um die Embryonenforschung
und die Einsetzung eines "Nationalen Ethikrates" schrecken mich
ebenso auf wie seinerzeit die Diskussion über die Thesen von Peter Singer.
Auch habe
ich die Diskussion im Bundestag und viele andere mehr verfolgt. Die Thesen
in dem vorgenannten Leserbrief kann ich nicht teilen, da ich mich selbst mit
dieser Materie seit vielen Jahren auseinander gesetzt habe. Ich bin selbst
behindert und von daher gewiss nicht gegen das Heilen von Krankheiten und
Behinderungen. Immer wieder habe ich mich dafür ausgesprochen und gesagt:
Wir müssen heilen, lindern, und wo dies nicht ganz gelingen kann,
versuchen, das Leid soweit wie möglich erträglich zu machen. Leid ist ein
Stück menschlicher Unvollkommenheit; aber Leid kann auch eine
Herausforderung bedeuten! Ein behinderter Mensch betrachtet seine
Behinderung nicht immer automatisch als Leid, unter dem er unsäglich
leidet. Es gibt genügend Beispiele von Behinderten, die sich eine eigene
Lebensqualität geschaffen haben, um die sie manch ein Gesunder beneidet.
Mancher Behinderter ist weniger behindert als ein
"Nichtbehinderter", und manch ein Behinderter fühlt sich durch
"Nichtbehinderte" mehr behindert als durch seine eigene
Behinderung.
Wenn wir aber beginnen, menschliches Leben
zu vernichten, um menschliches Leid auszurotten oder gänzlich
auszuschließen, beschreiten wir einen falschen Weg, dessen Auswirkungen wir
nicht absehen können. Die Gentechnik und Embryonenforschung wird
unweigerlich zur Selektion, zur Aussonderung von krankem und somit
"unwertem Leben" führen. Wenn wir alle Mittel und Anstrengungen
aber für die Weiterentwicklung vorhandener Möglichkeiten, Leiden zu
heilen, zu lindern und vor allem für eine gute Bildung, Ausbildung und
Integration von behinderten Menschen einsetzen, wird das der Gesellschaft
auf Dauer eine tiefere Befriedigung und einen größeren Gewinn bringen, als
der Versuch, sich als Schöpfer aufzuführen.
In der Embryonenforschung und auch in der
Präimplantationsdiagnostik sehe ich - wie viele andere - eine Selektion,
Aussonderung von krankem und behindertem Leben von Beginn an, weniger die
Heilung von kranken Menschen, wie man oft behauptet. Während meiner
diesjährigen Reha-Maßnahme im April/Mai hatte ich in dieser Angelegenheit
ein Gespräch mit einer Dipl.-Pädagogin und einer Mitarbeiterin einer
Schwangeren- und Konfliktberatung, in dem auch zum Ausdruck kam, dass
pränatale Untersuchungen und die PID die meisten schwangeren Frauen mehr
verunsichern als ihnen Sicherheit geben, mit der sie in Freude ihrer
Niederkunft entgegensehen könnten. Ich habe dabei zum Ausdruck gebracht,
dass diese Untersuchungen Segen und Fluch zugleich sein könnten.
Mit der Einsetzung des "Nationalen
Ethikrates" möchte sich "Macher Schröder" als "Macher
und Motor" der deutschen Industrie, Wirtschaft und Wissenschaft
(Forschung) präsentieren, und um es mit einem "verdeutschtem
schlechten Wort" zu sagen: "einschleimen", damit er als
Förderer gefeiert wird und es für sich politisch ausschlachten kann. Mit
vielen anderen bin ich der Auffassung, dass die Einsetzung eines
"Nationalen Ethikrates" neben den bereits bestehenden Kommissionen
ein grandioser Etikettenschwindel, eine Augenwischerei ist und als
Alibifunktion herhalten soll und muss, damit man vordergründig behaupten
und beweisen kann, dass man alle Seiten eines heiklen Themas abgeklopft hat
und im Interesse der Forschung und Wirtschaft einen Beschluss herbeiführen
kann und vielleicht auch muss.
Zum Schluss möchte ich nur noch einmal
ganz kurz auf den oben genannten Leserbrief zurückkommen und sagen, dass
nach meiner und vieler anderer Erkenntnis mit der Verschmelzung von Ei und
Samen alle Merkmale eines Menschen vorhanden sind, also ein Individium
existiert, das nach dem Grundgesetz "schutzwürdig" und
"schutzbedürftig" ist. Wir müssen lernen zu erkennen, dass wir
nicht alles Leid aus dieser Welt verbannen können, und auch, dass wir nicht
alles machen dürfen, was wir vielleicht einmal machen können. Wir sind
noch immer ein "Geschöpf" und kein "Schöpfer". Wir
sollten uns dieser Tatsache bewusst werden und nicht in diese Versuchung
kommen, den Menschen "nach unserem Bild zu machen"!
Heinz Pangels,
53639 Königswinter