An die Schwachen
von einem »Halbstarken«
Weil Ihr schwach seid, habt Ihr uns »Halbstarke« genannt.
IHR verdammt damit eine ganze Generation, an der Ihr gesündigt habt,
weil Ihr
schwach seid.
Wir gaben Euch zwei Jahrzehnte Zeit, uns stark zu machen; stark zu
machen für das Leben, das wir gerade begonnen hatten.
Wir gaben Euch Zeit, uns stark zu machen im Glauben, in der Hoffnung und
in der Liebe sowie im guten Willen.
Wir gaben Euch Zeit, uns Vorbild zu sein und uns zum Guten zu führen.
Ihr aber habt uns halbstark gemacht, weil Ihr schwach seid.
Ihr habt uns keinen Weg gewiesen, den zu gehen Sinn gehabt hätte,
weil Ihr selber den Weg nicht kanntet und versäumtet, ihn zu suchen.
Wir hatten Verständnis für Euer Bemühen, wieder etwas zu schaffen, und
waren zunächst auch froh über jede Kleinigkeit, die wir von Euch
erhielten. Auch waren wir froh, uns endlich wieder einmal satt essen zu
dürfen und zu können.
Wir haben oft Rücksicht auf Euch genommen, wenn Ihr müde von der Arbeit
kamt; sind still gewesen und haben nichts mehr zu fragen gewagt.
Dann aber habt Ihr angefangen, Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr
für Jahr Eure neuen Errungenschaften zu feiern.. Eure Leistungen zu
preisen; wähntet Euch glücklich, endlich mal wieder wer zu sein. Auch
dafür hatten wir im gewissen Sinne noch Verständnis und waren zuweilen
noch stolz auf Euch.
Und dann habt Ihr Woche für Woche im Lotto und Toto gespielt, um Euren
Wohlstand noch schneller zu steigern, weil es Euch zu langsam ging.
Das Auto und das Fernsehen wurden Eure liebsten Kinder.
Wollten wir mit Euch sprechen, habt Ihr abgewunken in der Sorge, etwas
verpassen zu können oder zu müssen.
Wie gern hätten wir einmal mit Euch ein Gespräch geführt,
unsere Probleme und unseren Kummer uns von der Seele geredet.
Ihr aber wolltet nach getaner Arbeit Eure wohlverdiente Ruhe haben. Vor
verbotenen Dingen stand oft windschief Euer brüchiges »Nein«-, dann
nahmt Ihr das »Nein« weg und sagtet »Ja«, um Eure schwachen Nerven zu
schonen. Und dies nanntet Ihr dann »Liebe«!
Gefordert habt Ihr uns nicht. Nur eins habt Ihr von uns gefordert, Euch
in Ruhe zu lassen!
Weil Ihr schwach seid, habt Ihr Euch von uns Ruhe erkauft - solange wir
klein waren, mit Kinogeld und Eis.
Nicht uns habt Ihr damit gedient, sondern Euch und Eurer Bequemlichkeit,
weil Ihr schwach seid, schwach in der Liebe, schwach in der Geduld,
schwach in der Hoffnung und schwach im Glauben!
Selbst an Wochenenden kamen wir bei Euch nicht zum Zuge, weil Euch das
Polieren Eures PKW, Eures Statussymbols, wichtiger war als die
Beschäftigung mit uns.
Wir sind halbstark, und unsere Seelen sind nur halb so alt wie wir
selbst; wir machen Radau, weil wir nicht weinen wollen nach all den
Dingen, die Ihr uns gelehrt habt.
Wir können rechnen, lesen und schreiben und wurden gelehrt,
die Staubgefäße vom Buschwindröschen zu zählen-, wir wissen,
wie die Füchse leben, und wir kennen den Bau vom Ackerschachtelhalm. Wir
haben gelernt, still zu sitzen und schön den Finger zu heben, um vom
Fuchs und Buschwindröschen zu erzählen.
Aber in der Stadt gibt es keine Füchse und Buschwindröschen. -
Wie man dem Leben begegnet, habt Ihr uns nicht gelehrt!
Ihr habt uns nicht gelehrt, wie man dem Nächsten begegnet, wie man
Gemeinschaft pflegt und durch sie wächst.
Wir möchten auch gern an Gott glauben, an einen unendlich starken,
liebenden und gütigen Gott, der alles versteht und der will, dass wir
gut zueinander sind.
Ihr habt uns keinen Menschen gezeigt, der gut ist, weil er an Gott
glaubt.
Ihr habt mit Andacht Euer Geld verdient und Eure Leistungen
hochgepriesen. Und samstagabends habt Ihr die Lotto- und Totozahlen wie
Gebete gestammelt und dienstags die Ergebnisse andächtig vor Euch
hingemurmelt.
Hattet Ihr einmal Probleme, so wurden sie mit Alkohol und Pillen
verdrängt. Nun wundert Ihr Euch, dass wir Euch dieses alles nachmachen.
Aber wir tun's doch nur, weil Ihr uns nicht gelehrt habt, auch einmal
eine Angst durchzustehen und eine Forderung an uns als eine
Herausforderung zu verstehen.
Ihr seid nur auf Leistung gedrillt und habt dabei den Menschen
vergessen. So werden wir nun, wenn wir einmal einen Fehler machen, wie
eine heiße Kartoffel fallen gelassen.
Wenn wir Euch keinen Leistungsnachweis bringen, sind wir in Euren Augen
»kaputte Typen«!
Wir aber wollen »Menschen« werden und gut zueinander sein.
Wir suchen nach einem Vorbild!
Euch können wir nicht als Vorbild anerkennen, weil Ihr es so für uns
nicht seid, weil wir nicht wollen, dass wir so werden, wie Ihr seid oder
es Euch vorstellt. Wir möchten nicht das Zerrbild Eurer verlogenen
Existenz werden.
Wir spüren tief innen, dass es noch andere Werte gibt, denen nachzugehen
es sich lohnt und uns wichtiger erscheint, als Eurem Erfolgsprinzip
nachzueifern.
Wir verdammen Euch nicht, weil wir wissen, dass Ihr selber mit Euren
Problemen nicht fertig geworden seid, und Ihr es nicht gelernt habt,
diese richtig aufzuarbeiten, sei es im privaten, beruflichen oder
politischen Bereich.
So habt Ihr manches verschwiegen und vieles verdrängt, weil Ihr
Unangenehmes vergessen machen wolltet, das Euch in manchen stillen
Stunden quälte.
Wir würden gern an Euch glauben und Euch vertrauen,
wenn Ihr uns zeigen würdet, dass Ihr stark seid im Menschsein,
dass Ihr noch fähig seid, den Andersartigen zu achten
und seine Gefühle nicht zu verletzen; dass Ihr noch Gutes tun könnt,
ohne für Euch einen Vorteil herauszuschlagen.
Wir möchten unseren Kindern einmal Vorbild sein.
Darum suchen wir neue Wege.
Wir wissen, dass wir nicht alles richtig machen.
Wir wissen daher auch, dass nicht alles von Euch akzeptiert werden kann,
was wir tun, und wir erwarten es auch nicht.
Wir wünschen uns nur, dass Ihr ein wenig mehr Geduld mit uns habt; denn
wir haben die Hoffnung, dass wir unseren Weg finden werden,
und dass es uns halbwegs gelingt, unseren Kindern ein Vorbild zu sein.
Betet also, dass uns auf der Suche nach einem neuen Menschsein ein Licht
begleite.
© Heinz Pangels, 08/80
Vertrauter Umgang mit Gott, 1996, Seiten 108-111